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IAK Theolinguistik in Freiburg, 03.03.2010


während der Linguistik-Tage der Gesellschaft für Sprache und Sprachen e.V., Freiburg 2.-4. März 2010

Leitung des AKs: Greule Albrecht & Kucharska-Dreiss Elżbieta

Theolinguistik beschäftigt sich mit der Erforschung der religiösen Sprache im weitesten Sinne und ist im Grenzbereich zwischen Linguistik und Theologie anzusiedeln. Religiöse Sprache ist die Sprache, die der Kommunikation im Bereich des religiösen Lebens dient. Die bisherigen Sitzungen des Arbeitskreises haben gezeigt, welche Vielfalt an theolinguistischen Fragestellungen möglich ist (von der Definition der religiösen Sprache und ihrer Varietäten, über die Beschäftigung mit europäischen Bibelübersetzungen und -ausgaben, über unterschiedlichst ausgerichtete Analysen von Predigten und Kirchenliedern bis hin zu Detailfragen nach der Kommunikation in Gottesdiensten, nach sepulkralen Textsorten oder Anreden der Geistlichen im Christentum, Judentum und Islam). Die bevorstehende Sitzung des Arbeitskreises in Freiburg bietet zum einen nach wie vor die Möglichkeit, jedes beliebige theolinguistische Forschungsthema/Forschungsprojekt zu präsentieren; zum anderen will sie den religiösen (Grund-)Wortschatz und die theologische Terminologie als den diesjährigen Schwerpunkt hervorheben. Dabei sollen folgende Themenkomplexe im Vordergrund stehen:
- Entstehung und Entwicklung der religiösen Lexik in den Einzelsprachen,
- ihr interlingualer Vergleich (Entlehnungen, Interferenzen),
- Gebrauch der zentralen Begriffe und Termini in religiösen Texten und Textsorten (im diachronen und synchronen Vergleich).
Wir freuen uns auf rege Teilnahme, spannende Beiträge und einen Gedankenaustausch über Sprachen und Religionen hinweg!

REFERATE:

Bernd Bauske (Mainz/Germersheim): (Eigen)namen in Koranübersetzungen

Microtextual investigation applied to complex texts seems an adequate means to elucidate basic – and less basic – facts and tendencies of text history; especially of the history of the translation(s) of a given text.In the present contribution, we try to apply this to the various forms the name of the prophet of Islam has received in Qur’ân translations in European languages written with a Latin alphabet, limiting us to the three most important language families of Europe, though. Further research in all national traditions will be necessary, as research across language-barriers will be sure to prove very illuminating. We hope to come back to questions of qur’ânic history based in microtexts in the near future.

Albrecht Greule (Regensburg): Etymologie und Theolinguistik

Die Intention des Vortrags wird durch den Untertitel „Über den Erkenntniswert etymologischer Erforschung religiöser Begriffe – am Beispiel des Theolexems nhd. weih“ deutlich. Ausgehend von einem Beispiel soll zunächst eine Vorstellung davon vermittelt werden, was Etymologie ist. Am Beispiel von weih wird gezeigt, wie sprachwissenschaftliche Etymologie im Unterschied zu einer vorwissenschaftlichen Etymologie vorgeht und welchen Erkenntniswert sie im Rahmen der Theolinguistik besitzt. Am Einzelfall wird sich zeigen, dass etymologische Forschung die Entstehung der christlichen sakralsprachlichen Begrifflichkeit des Deutschen am Übergang von germanischem Götterglauben zur christlichen Religion aufzuhellen im Stande ist.

Irmeli Helin (Turku, Finnland): Wenn die Sünde abgeschafft ist, verschwindet auch die Gnade? Begriffe und Benennungen in alten deutschen Kirchengesängen und ihren alten und neuen finnischen Übersetzungen

In meiner Forschung mit dem Thema Neuübersetzung habe ich eine quantitative Analyse des Wortschatzes und der zentralen christlichen Begriffe in solchen alten deutschen Kirchenliedern gemacht, die schon im 16. Jahrhundert ins Finnische übersetzt wurden und immer noch in deutschen Liederbüchern und als Neuübersetzungen auch noch im modernen finnischen Kirchengesangbuch zu finden sind. Diesmal habe ich einige Begriffe des Glaubens gewählt, deren Rolle im Liederwortschatz beider Sprachen ich sowohl diachron als auch synchron beschreiben möchte.

Gerhard Janner (Auerbach): In den „Kampf gehen wie in einen Gottesdienst“. Sakralsprache und Selbstzelebration des Nationalsozialismus

Ziel der Untersuchung ist zu zeigen, daß der Terminus Varietät nationalsozialistische Sakralsprache geeignet ist, den Gebrauch christlich-religiöser sprachlicher Ausdrücke in der Selbstdarstellung des Nationalsozialismus präzise zu beschreiben und das Angebot entsprechender Bezeichnungen zu bündeln.
Gegenstand der Studie sind kleine, offenbar als philosophisch-religiöse Traktate intendierte Bekenntnis- und Missionsschriften zweitrangiger nationalsozialistischer Autoren, die jedoch mit bis zu 500 000 hohe Auflagen erzielten, vor allem dank deren Eignung als aufbauende „Frontlektüre“. Die damit versuchte Sinngebung der existenziellen Themata des Soldaten – Tod, Opfer, Heldentum – geschieht über eine neue nationalsozialistische Religiosität.
Das Korpus kann den eigentümlichen Gebrauch des christlichen Lexikons in Texten unterhalb der damaligen Verbreitungs- und heutigen Bekanntheits- und wissenschaftlichen Interessensebene der programmatischen NS-Texte zeigen und belegen, daß es primär weder nur Propagandainstrument noch willfährige Nachahmung war.
Die Untersuchung wird mit der Analyse eines Textes aus dem 1. Weltkrieg von Walter Flex „Vom großen Abendmahl. Verse und Gedanken“ eingeleitet, welche die Entwicklung und Eigenart des sakralsprachlichen Lexikons des Nationalsozialismus kontrastiv erhellt. Flex’ Text steht in der Tradition der Nationalisierung der christlichen Religion – jedoch ohne gewollte dogmatische Veränderung – und der Inanspruchnahme Gottes als obersten Kriegsherrn.
NS-Korpus:
Eggers, Kurt 1941: Von der Freiheit des Kriegers.
Ein junger Deutscher [Hans Bloethner] [1940]: Gott und Volk. Soldatisches Bekenntnis.
Sörensen, Wulf [Fischer, Frithjof] 1936: Freund Hein.
Ziegler, Matthes 1940: Soldatenglaube Soldatenehre. Ein deutsches Brevier [...].
Die Sprache der NS-Texte lebt parasitär von den bei einem Teil der Rezipienten zu Leerformeln gewordenen Ausdrücken der religiösen Sprache, welche mittels offener und eindeutiger Erklärung mit Begriffsinhalten gefüllt werden, die unter die Begriffe Volk und deutsch subsumiert werden können. Das Christentum wird mit Hilfe seines eigenen Wortschatzes – und daher von vielen unbemerkt – bekämpft. Die Arbeit belegt mit Verweisen auf Texte über das Korpus hinaus die weite Verbreitung und Homogenität dieser NS-Sprache, um ihre Deklarierung als Varietät zu rechtfertigen.
Die Hauptthese der Untersuchung, der NS-Gebrauch christlicher Lexeme und Syntax sei als dem NS eigentümliche Sakralsprache zu klassifzieren, gewinnt Gehalt vor dem aufgezeigten Hintergrund des Verständnisses des NS als Liturgie in einem „Volksdienst“, der an die Stelle des „Gottesdienstes“ getreten ist.
Die eingesetzten Analyseverfahren bestehen in der Erstellung sakralsprachlicher Lexika und textlinguistischer Aufbereitung der pathetischen Texte, deren neben mancher Plumpheit auch stilistische Artistik post festum zwar leichthin als Kitsch abgetan werden mag, die jedoch nach aller zu spät realisierten Erfahrung im historischen Kontext eine „religiöse“ Motiviertheit ausgelöst haben müssen.

Sebastian Kiraga (Berlin): Einblick in das Forschungsprojekt „Säkularisierung religiöser Lexik vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen (Polnisch, Slowakisch, Tschechisch, Deutsch)“

Im Rahmen des seit Oktober 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin laufenden Forschungsprojekts wird untersucht, wie seit 1945 primär religiöse Lexeme wie Dogma, Gewissen, Gott, Hölle oder Sünde in der nicht-religiösen Standardsprache verwendet werden. Dabei sind häufig semantische Säkularisierungen zu beobachten wie Bibel als ’grundlegendes Buch einer bestimmten Gruppe’ oder das Kompositum Verkehrssünder ‘jmd., der gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen hat’. In den Blick kommen auch profane Verwendungen von Zitaten aus der Bibel, bei denen die biblische Herkunft (weitgehend) verblasst ist, z.B. jmdm. fällt es wie Schuppen von den Augen ‘eine plötzliche Erkenntnis haben’ nach Apostelgeschichte 9,18.
Das Projekt ist kontrastiv angelegt – betrachtet neben Säkularisierungen im Deutschen auch solche in den westslawischen Sprachen Polnisch, Slowakisch und Tschechisch. Dabei treten Unterschiede zu Tage wie etwa zwischen dt. seine Hände in Unschuld waschen ‘seine Unschuld beteuern’ und pol. umywać ręce ‘sich für et./jmdn. nicht verantwortlich fühlen’ (beide gehen auf Matthäus 27,24 und Psalm 26,6 zurück).
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sollen in Form eines Online-Wörterbuchs mit dem Titel „Sacrum und Profanum – religiöse Lexik in der Allgemeinsprache“ der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. In dem Beitrag soll ein Einblick in die bisherige Arbeit der Projektgruppe gegeben sowie um fachliche und ideelle Unterstützung geworben werden. Eine kurze Darstellung des Projekts und seiner Mitarbeiter findet sich im Internet unter der Adresse http://www.slawistik.hu-berlin.de/member/anagorko/saekularisierung.

Elżbieta Kucharska-Dreiß (Wrocław, Polen): Von der Gnädigen Frau bis zum sanften Tod. Gnade im alltäglichen Sprachgebrauch

Der Beitrag geht von der Beschreibung des Lexems Gnade im Grimmschen Wörterbuch aus. Näher eingegangen wird hier v.a. auf die Bedeutungsentwicklung von Gnade und die Zusammensetzungen mit dieser Komponente, welche die seinerzeit sehr hohe Produktivität des Wortbildungsmusters Gnade + (n) + Grundwort belegen.
Die eigentlichen Überlegungen der Autorin gelten jedoch dem Gebrauch von Gnade im heutigen Deutsch: zum einen in neueren einsprachigen Wörterbüchern, zum anderen in regionalen Tageszeitungen. Bei der Analyse der Wörterbücher stehen folgende Aspekte im Vordergrund: die enthaltenen Definitionen von Gnade, die Wortbildung mit Gnade, das Vorkommen der "Gnade-Lexeme" in lexikographischen Bedeutungserklärungen sowie die verzeichneten Beispiele für ihren weltlichen wie den religiösen Gebrauch. Herangezogen werden folgende Wörterbücher: eine sechsbändige Ausgabe von Klappenbach und Steinitz (1978), eine ebenfalls sechsbändige Ausgabe von Wahrig / Krämer / Zimmermann (BROCKHAUS WAHRIG 1981), drei Verschiedene DUDEN-Ausgaben: eine sechsbändige von 1977, eine achtbändige von 1993 und eine einbändige von 2003 (= DUDEN 2003).
Die Auswahl ist so getroffen worden, dass zum einen der Ost-West-Vergleich möglich ist, zum anderen der Vergleich zwischen verschiedenen Verlagen und zusätzlich zwischen verschiedenen Ausgaben aus dem gleichen Verlag.Der Beitrag mündet in eine korpusgestützte Analyse betreffender Kookkurrenzen und Kollokationen in regionaler Tagespresse (COSMAS II, IDS Mannheim).

Michael Thiele (Karlsruhe): Widerstreitende Nomenklatur: Gefühl und Verstand, Empfindung und Einsicht, Schwärmerei und Aufklärung, religiös und schauspielerisch betrachtet

Anhand eines Vergleiches von Schauspieler und Geistlichem – der Pfarrer sei Komödiant!? – steht die Terminologie der Affekte in der Epoche der Aufklärung auf dem Plan. Im Darsteller wie im Theologen rangiert die Skala der Emotionen von den dunkelsten Gefühlen bis zu den aufgeklärtesten Empfindungen. Sie mischen sich, je nach dem Grad der Einsicht.
Die Theorie der Schauspielkunst nährt sich von zwei Ausformungen. Da ist einmal die Theorie von der Distanz des Schauspielers zu seiner Rolle: er identifiziert sich nicht mit der Rollenfigur. Da ist zum zweiten die Theorie von der Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle: er fühlt sich komplett in die Stückfigur ein, verwandelt sich total in den darzustellenden Charakter. Beide Erscheinungsweisen sind in ihrer ‚reinen‘ Form reine Auswüchse. Sie werden in der einschlägigen Literatur breit beschrieben, sind aber, so will es das Paradox, letztlich gar nicht vorstellbar. So sind sie zwar in der Welt, aber doch nicht existent.
Beim religiösen Gefühl verhält es sich genauso. Auch hier ist jede ‚reine‘ Ausformung von Übel. Vernunft und Gefühl treten in gemischten Zuständen auf. Die Mischungsverhältnisse sind unterschiedlich. Johann Joachim Spalding neigt zur Betonung des Verstandes, ist aber wohl bei der Deutung mystischer Phänomene zu einseitig. Sie unbesehen als Schwärmerei abzutun dürfte den Erscheinungen nicht gerecht werden. Auch homiletisch gesehen, neigt die protestantische Theologie zur Emphasis des Verstandes und der Vernunft, also, auf der Folie der Schauspieltheorien zum Brechtschen Stil. Dennoch: es liegt immer eine res mixta vor. Vernunftgemäße Überzeugung plus Sinnlichkeit ergeben, in rechter Mixtur, den rechten Pfarrer.


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